Meldung vom 30.10.2013
Der Umgang mit Tod und Trauer ist an sich schon ein schwieriges Thema. Die 16. Veranstaltung der Reihe twenty.twenty widmete sich gestern dem „Tod im Netz“, bei dem sich noch viele zusätzliche Fragen auftun. Die Berliner Autorin Lisa Rank schilderte in ihrer Keynote wie Menschen mit Trauer, Krankheit und Tod in sozialen Netzwerken umgehen und wie wenig die Algorithmen der Services darauf vorbereitet sind. In der anschließenden Diskussion, zu der A1 und The Gap eingeladen hatten, wurde ein weiter Bogen von datenschutz- und erbrechtlichen Fragen über digitale Nachlassverwaltung bis hin zu Trauerritualen im Netz gespannt.
Der Umgang mit dem digitalen Nachlass ist eine ebenso individuelle Angelegenheit wie der Umgang mit der Trauer um verstorbene Personen. „Ich möchte gar keine Patentlösung. Besser irgendeine Lösung als gar keine“, meinte Lisa Rank. Aus ihrer Sicht ist vor allem wichtig, sich bewusst mit der Verstörung auseinanderzusetzen, die ausgelöst wird, wenn im eigenen Newsstream plötzlich zwischen Katzenfotos und anderen Belanglosigkeiten die Nachricht vom Tod eines Menschen auftaucht. Daraus kann sich ein bewusster Umgang mit dem Thema entwickeln, ohne dass es wie so oft in ein „anderes Zimmer“ verbannt wird.
Trauer als soziales PhänomenDas Netz bietet eine Vielzahl an Diensten, die soziale Interaktion fördern. Trauer ist ein Gefühl, das in vielen Fällen „nach Gemeinschaft“ sucht, so Rank. Menschen teilen ihre Erinnerungen an den verlorenen Menschen und versichern sich gegenseitig ihres Mitgefühls. Bernhard Jungwirth, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) wies in dem Zusammenhang auf die „Gefahr des Inszenierungsdrucks" hin. Vor allem, wenn Prominente sterben, werden Statements dazu genutzt, sich selbst als Kenner von Leben und Werk der verstorbenen Person hervorzutun.
Mit dem Tod erlöschen PersönlichkeitsrechteIn der aktuellen Debatte zum Datenschutz wird viel über das „Recht auf Vergessen“ bzw. das Recht auf Löschung personenbezogener Daten diskutiert. Dieses ist abgeleitet aus dem Persönlichkeitsrecht. „Mit dem Tod verwirkt man jedes Recht auf Datenschutz“, so der Datenschutzexperte Andreas Krisch. Deshalb sollten sich Menschen zu Lebzeiten Gedanken machen, was nach ihrem Tod mit den Daten geschehen soll. Jedenfalls sollten sie dafür sorgen, dass die Hinterbliebenen die Zugangsdaten zu den Online-Services bekommen. Bernhard Jungwirth, der im Rahmen des ÖIAT viel mit Jugendlichen arbeitet, stellte fest, dass das Bewusstsein dafür noch kaum vorhanden ist. Dieses Bewusstsein mahnte auch die Medienkünstlerin Sylvia Eckermann ein.
Vergessen im InternetEin weiteres Thema der Diskussion war die konzeptionelle Schwäche des Internet: Es ist so gut wie nicht auf Tod, Verschwinden und Vergessen vorbereitet. Digitalisierte Äußerungen – ob Text, Bild oder Video – die einmal online gegangen sind, bleiben das auch. Sie werden dank ausgefeilter Algorithmen in Beziehung zueinander gesetzt, analysiert und weiterverarbeitet. Dabei kann es leicht passieren, dass sie den Bezug zum echten Leben verlieren. Am deutlichsten wird das, wenn ein Mensch stirbt: Es gibt kein Statusupdate mit dem Inhalt "tot". Das Netz vergisst uns nicht.
Erinnern und BewahrenAndererseits führt der rasche technologische Wandel dazu, dass digitalisierte Dokumente, digitale Kunst oder Computerspiele schon nach wenigen Jahren nicht oder nur mehr schwer zugänglich sind. Die Künstlerin Sylvia Eckermann hat selbst kein Problem damit, dass ihre Kunstwerke verschwinden, „wenn der Stecker gezogen wird“. Sie wies aber auch darauf hin, dass der Kunstmarkt das sehr wohl als Problem sieht.
Individueller ZugangFür den Umgang mit dem digitalen Nachlass gibt es ebenso unterschiedliche Zugänge wie für den materiellen. Manche wollen sehr genau bestimmen, was in welcher Form für die Nachwelt erhalten werden soll oder was gelöscht werden soll. Andere überlassen diese Entscheidung ihren Hinterbliebenen. Auf jeden Fall ist irgendeine Lösung besser als gar keine.
Die Beiträge zur twenty.twenty Blogparade und die Videoaufzeichnung sowie Fotos der Veranstaltung sind auf http://www.twentytwenty.at zu finden.