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„Wir sind mitten in einer Revolution“

„Viele Menschen sehen die Dinge, wie sie sind und fragen, warum? Ich aber träume von Dingen, die nie gewesen sind, und frage, warum nicht?“ (c) Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn

Die Digitalisierung eröffnet der Medizin völlig neue Möglichkeiten: Im Interview erklärt der Internist und prominente TV-Gesundheitsexperte Siegfried Meryn, was ihn daran besonders begeistert.

A1: Herr Professor Meryn, welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Medizin und generell auf die Gesundheitsversorgung?

Siegfried Meryn: Wir sind mitten in einer Revolution, deren Dimension viele noch gar nicht erkennen. Die Konvergenz von Informations- und Biotechnologie erlaubt gemeinsam mit den Möglichkeiten von Big Data völlig neue Erkenntnisse und eröffnet ungeahnte Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir an einer Zeitenwende stehen, die eine massive Veränderung der gesamten Medizin für Ärzte und Patienten mit sich bringen wird.

 

A1: Worin sehen Sie denn die wichtigsten disruptiven Innovationen im Bereich Medizin und Digitalisierung?

Siegfried Meryn: Beginnen wir mit der Diagnostik. Da gibt es etwa das spektakuläre Beispiel der Melanome, also einer gefährlichen Form von Hautkrebs. Man fotografiert einfach ein verdächtiges Muttermal mit dem Smartphone, das Bild wird mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert und Melanome so frühzeitig und zuverlässig entdeckt. Selbstlernende Systeme vereinen Geschwindigkeit und Überblick mit einer diagnostischen Qualität, die an die besten Hautspezialisten herankommt. Ich selbst bin oft mit außergewöhnlichen und komplexen Krankheitsbildern konfrontiert, bei denen ich trotz meiner 30 Jahre Erfahrung an Grenzen stoße. Daher habe ich begonnen, zusätzlich auch Algorithmen bzw. Apps zu nutzen. So bekomme ich innerhalb von drei Sekunden die ersten 20 Differentialdiagnosen samt Wertung und Links zur vertiefenden Fachliteratur. Ich habe auf Weltkongressen Resultate gesehen, die bereits jetzt gleich gut oder sogar besser waren als jene von Radiologen. Gerade beim Thema Diagnostik bin ich vom Fortschritt durch die Digitalisierung völlig überzeugt und verstehe die Widerstände mancher Kollegen nicht. Für mich ist das ein genialer Assistent, der mich und mein klinisches Gespür nicht ersetzt, sondern mich komplementär ergänzt und besser macht.

 

A1: Auch Big Data wird großes Anwendungspotenzial in der Medizin nachgesagt.

Siegfried Meryn: Die Medizin der Zukunft wird personalisiert, präzise und präventiv sein. Diese drei Entwicklungen basieren auch auf der Möglichkeit, große Datenmengen analysieren zu können und so ein Verständnis der größeren Zusammenhänge zu gewinnen. Wenn wir als Beispiel einen Diabetiker nehmen, so können wir etwa auch seine Herkunft und seinen sozialen Hintergrund miteinbeziehen. Diese Fülle an Informationen wird im Gesundheitswesen neue Möglichkeiten der Prävention eröffnen, der Komplexitätsforscher Stefan Thurner etwa hat mit der Hilfe von Big Data großartige Arbeit geleistet. In der Folge lassen sich unglaublich treffsichere, gesundheitspolitische Maßnahmen setzen. Übrigens: Big Player wie Amazon, Apple und Google gehen ja längst in die Medizin, sehen den Patienten als Kunden und setzen auf Customer Design, also auf Kundenorientierung. Diese Orientierung am Kunden – egal, ob das der Patient, der Arzt oder ein gesunder Mensch ist – wird diesen Entwicklungen zum Durchbruch verhelfen. Es ist schwer, bei diesem Thema nicht begeistert zu sein, aber leider bremst die Ärztekammer.

 

A1: Tatsächlich lässt sich eine gewisse Skpesis da und dort nicht leugnen. Woran liegt das?

Siegfried Meryn: Die wesentliche Ursache sehe ich darin, dass wir als Ärzte teilweise Einfluss, Macht und die Hoheit über das Wissen abgeben müssen. Dadurch verändern sich das Selbstbild und möglicherweise auch die Verdienstmöglichkeiten. Dazu kommen noch Sorgen hinsichtlich der Sicherheit von sehr persönlichen Gesundheitsdaten.

 

A1: Stichwort Telemedizin – eine Chance speziell für ländliche Gebiete mit schlechterer medizinischer Versorgung?

Siegfried Meryn: Unbedingt. Die Telemedizin ist die Zukunft, und zwar nicht nur für ländliche Gebiete. Angesichts einer immer älteren Bevölkerung, die auch länger in den eigenen vier Wänden leben will, und gleichzeitig knapper Ressourcen müssen wir auf neue Entwicklungen wie Ambient Assisted Living setzen. Ich habe in Norwegen, Schweden, England und Singapur sensationelle neue Möglichkeiten etwa hinsichtlich der Betreuung von Diabetikern, Bluthochdruck-Patienten und älteren Menschen gesehen. In den USA gibt es eine bildbasierte telemedizinische Nachsorge, die Patienten unnötige Anreisewege von oft mehreren Stunden erspart. Das St. Anna Kinderspital in Wien hat mit der TU Wien Spiele für Kinder mit Leukämie entwickelt, die Empfehlungen abgeben, ob und wann eine Kontrolle wirklich notwendig ist. Das ist ungeheuer positiv und erspart den Kindern stundenlanges Sitzen im Warteraum. Noch ein Beispiel: Ich habe eine sensationelle Chatbox (Anm.: ein textbasiertes Dialogsystem) getestet, die Differentialdiagnosen mit hoher Treffsicherheit liefert, das ist von teilweise atemberaubender Qualität. Über Telemedizin müssen wir also gar nicht mehr nachdenken, das ist nicht die Zukunft, das ist die Gegenwart.

Teil 2 des Interviews, gibt es hier.

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