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Der Aufstieg des smarten Patienten

„Viele Menschen sehen die Dinge, wie sie sind und fragen, warum? Ich aber träume von Dingen, die nie gewesen sind, und frage, warum nicht?“ (c) Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn

Im zweiten Teil des Interviews (Teil 1 finden Sie hier) mit Siegfried Meryn zeigt Österreichs wohl bekanntester Arzt faszinierende Beispiele für die neuen digitalen Möglichkeiten in der Medizin auf. Und er sagt, wo noch Luft nach oben ist.

A1: Hinsichtlich der Telemedizin gibt es aber noch gewisse Vorbehalte. Was raten Sie beispielsweise einem niedergelassenen Arzt?

Siegfried Meryn: Stimmt, es gibt die Angst, den Arzt nicht mehr persönlich zu sehen. Das Entscheidende aber ist, dass dieser mit Hilfe der Telemedizin und durch die Automatisierung der Administration mehr Zeit für Patienten und für persönliche Gespräche haben wird. Vor allem beim Monitoring etwa von Blutzucker- und Blutdruckwerten tun sich völlig neue Möglichkeiten auf. Oder nehmen wir die Überwachung von Herzrhythmusstörungen, wo im Fall des Falles automatisiert ein EKG an den Kardiologen übermittelt werden kann, der dann wiederum sofort die nötigen Schritte einleitet. Wir sprechen hier von Hilfsmitteln, deren Qualität sicherlich noch verbessert werden muss. Die Zukunft wird jedenfalls durch den Aufstieg des smarten Patienten und durch die Devise Nothing about me without me geprägt sein. Der Patient oder die Patientin wird also im Behandlungsprozess noch mehr miteinbezogen werden, der Mensch muss nach wie vor der Mittelpunkt der Medizin sein. Der technische Fortschritt darf nie zum Selbstzweck werden und hat nur dort eine Berechtigung, wo er dazu beiträgt, dass das Individuum ein besseres, gesünderes und gerechteres Leben führen kann.

 

A1: In der Realität sind aber manche Patienten gar nicht so smart und vertrauen oft schlecht gegoogelten Infos. Umgekehrt werden wohlinformierte Patienten von manchen Ärzten nicht ernst genommen. Was tun?

Siegfried Meryn: Da bin ich ganz bei Ihnen, wir brauchen ein Umdenken auf allen Ebenen. Wir müssen die Medizin-Studierenden schulen, damit sie dieses Verständnis entwickeln. Ich würde im Medizinstudium zwei neue Schwerpunkte setzen: einen rund um die für die Entwicklung personalisierter Medikamente so wichtige Genetik; und den anderen eben rund um medizinische Informatik, um ein Grundverständnis für die Analyse und Wertung von Daten zu bekommen. Und ja: Ich sehe tatsächlich extrem viele Patienten, die mit Vorinformationen aus dem Internet kommen, die sie aber nicht interpretieren können und deren Quelle sie nicht hinterfragen. Es ist ein Balanceakt, aber ich bin mit Blick auf Künstliche Intelligenz und Big Data auch hier optimistisch.

 

A1: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf chirurgische Eingriffe, also auf Operationen?

Siegfried Meryn: Auch auf diesem Gebiet gibt es wirklich sensationelle Ansätze, nehmen wir die Operation eines Lebertumors mit Hilfe von Augmented Reality als Beispiel. Dabei werden dem Chirurgen mit Hilfe einer virtuellen Brille die entsprechenden Bilder von CT und MRT eingeblendet. Er sieht so schon vor dem ersten Schnitt, wo genau der Tumor sitzt. Das ermöglicht Eingriffe, die es in dieser Qualität noch nie gegeben hat oder die man – etwa im Fall von Gehirntumoren – bisher kaum gewagt hätte. Wenn man diese dreidimensionalen Bilder gesehen hat, denkt man unwillkürlich an Science-Fiction. Aber das findet wirklich statt.

 

A1: Was bedeutet die Digitalisierung für den stationären Bereich, also für Krankenhäuser?

Siegfried Meryn: Da sind wir wieder bei Big Data. In der Wiener Krankenanstalt Rudolfstiftung etwa habe ich einen Kollegen, der in seiner Abteilung eine iPad-Visite eingeführt hat. Der bekommt Laborbefunde, Patientenakte und Röntgenbilder in Sekundenschnelle auf das Tablet und sieht darauf sofort, dass es sich um eine Lungenentzündung handelt – und verschreibt das entsprechende Antibiotikum. Sollte der Patient bereits Medikamente mit möglichen Wechselwirkungen nehmen, dann erlaubt ihm das System eine Verschreibung erst gar nicht und er muss ein anderes Medikament auswählen. Ohne blind technikgläubig zu sein, sehe ich hier völlig neue Möglichkeiten und eine Qualitätssteigerung.

 

A1: Gibt es in der Medizin eine Schattenseite der Digitalisierungs-Medaille?

Siegfried Meryn: Wir müssen natürlich die Datensicherheit gewährleisten und Missbrauch unterbinden. Und wir sollten eine von Google, Apple und Co unabhängige KI-Lösung haben, die Sicherheit und den Zugang für alle gewährleistet. Hier sehe ich daher die Notwendigkeit von Regulierungen. Wenn ich mir die rasante Entwicklung in puncto Gesichtserkennung und Datensammlung in China ansehe, müssen wir jedenfalls schnell handeln und hier einen Gegenpol setzen. In Österreich haben wir bisher verabsäumt, bei der Künstlichen Intelligenz in der Medizin eine Vorreiterrolle einzunehmen. Wir waren bis dato zu zögerlich, da ist noch Luft nach oben.

 

 

Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn ist an der Medizinischen Universität Wien am Teaching Center der Medizinischen Universität Wien tätig, Facharzt für Innere Medizin, Additivfacharzt für Gastroenterologie, Hepatologie und Endoskopie, Mitglied der Bioethikkommision beim Bundeskanzleramt, Vorsitzender des ORF-Gesundheitsbeirats sowie Mitglied des ORF-Stiftungs- und Publikumsrats. Er ist als Bestsellerautor sowie TV- und E-Health-Gesundheitsexperte bekannt und gilt als Markenzeichen für zeitgemäße und kompetente Gesundheitsinformation.

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